Wie jetzt? Umgebauter Amphibien-LKW mit Doppelachser-Zwillingsbereifung? Oder Camping-Reise-Truck mit Überlänge? Alles nicht ganz! Sechs Wochen Jahresurlaub, davon drei im Sommer mit der Familie. Der Rest rinnt einem durch die Finger. Die paar Tage, die übrig bleiben, lohnen sich nicht für die Moped-Tour in die Berge oder an die Ostsee oder sogar weiter nach Skandinavien, wo man schon immer hin wollte. Und wenn das Saison-Kennzeichen sein Ablaufdatum erreicht, hat man wieder nur ein paar Tagestouren gedreht und der Tacho ist nur armselige Kilometer vorwärts gekommen. Für Inspektionen gibst Du im Jahr mehr Geld aus als für Sprit. Mir ging es bisher genauso, jahrelang, - daher die Idee: bevor du runzeliger wirst als die alternden Gummi-Faltbälge an deiner Karre, probier mal was anderes! Wie könnte das aussehen, wenn Du Familienurlaub und Motorradfahren verbindest? Hier ist sie, die Familienväter-Biker-Lösung mit Spaß-Garantie! Diesen Sommer habe ich sie im Selbstversuch ausprobiert.
Mit dem Anhänger in Urlaub fahren, das Moped hinten drauf, - hier teilen sich die Geister in der Biker-Szene (Lucia Prokasky in Roadster 06/2018 sowie Reinhold Burkart in Roadster 03/2019). Ich will es ausprobieren, in Richtung Schweden. Viel mehr kostet es gar nicht, wenn Du Dich mit Anhänger per Fähre übersetzen lässt. Bei den aktuellen Tarifen der TT-Line bist du pro Fahrt ab 10,- € extra dabei und das sogar in der Hochsaison! Und einen Leihanhänger fürs Moped bekommst Du für ca. 70,- € die Woche. Das bedeutet, für 250,- € bekommt Papi `ne Menge Spass in den Sommer-Familien-Ferien. Die 125er KTM Duke meines Sohnes, der gerade seinen A1-Führerschein bestanden hat, fährt übrigens neben meiner Harley hinten auf dem Trailer mit. Mit Tempomat, Klima-Automatik und WLAN im Auto bis ans Reiseziel. Nicht alle paar hundert Kilometer anhalten, um das Moped zu tanken, sondern mit einer Diesel-Tankfüllung bis ans Ziel. Keine Genickstarre vom Gegenwind beim Kilometer-Spulen auf der deutschen Autobahn bis zur Küste. Und trotzdem am Ziel: in Schweden, wo die Straßen leerer und die Verkehrsteilnehmer spürbar relaxter sind.
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In Schweden bist Du als Motorradfahrer etwas Besonderes, selbst wenn du die Geräte auf dem Anhänger bewegst. Schon auf dem Weg durch Südschweden zu unserem Ferienhaus in Småland werden wir laufend angesprochen: „Hur mycket kubik har den?“ ist die typische Frage. Hier interessiert man sich mehr für den Hubraum als für die PS. Wir werden das schon am nächsten Tag auch auf zwei Rädern ausprobieren. Nachdem das Familien-Basislager bezogen ist, hält es uns Jungs nicht auf der Veranda , - trotz gemütlicher, roter Holzhütte mit Blick auf die Ostsee. Wir müssen in den Sattel, die Straße ruft. Also stopfen wir unsere Packrollen und starten die Jagdsaison, - auf Kleingeflügel in Insektenformat. Unsere Spiegel und unsere Visiere sind die Trophäensammler im schwedischen Luftraum.
Weckt schon beim Losfahren Erinnerungen an die ersten Leichtkraftrad-Touren, damals in den 80ern mit sechzehn. Als Traveller-Cheques noch Standard waren und man selbst bei Wochenendausflügen in die benachbarten Niederlande vorher Geld bei der Bank tauschen musste, die bunten Gulden-Monopolyscheine jedes Mal Reise-Vorfreude-Fieber auslösten. EC-Karten und Kreditkarten waren exotisches Material. Schlagbäume und Grenzzäune waren Alltag und Reisepässe bekamen auch innerhalb Europas beim Grenzübertritt schon mal einen Stempel. Nostalgie der früh Geborenen. Gut 30 Jahre später genießt mein 16 Jahre alter Sohn die neu gewonnene Freiheit auf zwei Rädern, die sich hier in Schweden mit der Weite der Landschaft und der glasklaren Luft Skandinaviens mischt. Nebenbei mit so wenig Verkehr, dass man weit entfernt von Stoßstangen, befreit von jeder Art von Stau (Verkehrsstau, Aggressionsstau,…) ganz entspannt seine ersten Motorrad-Touren-Gehversuche machen kann. Wie ein Freiheitsinhalationsgerät für Motorrad-Fahranfänger.
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Heutzutage funktioniert hier in Schweden, dem ersten Land Europas, das ernsthaft überlegt, Bargeld komplett abzuschaffen, alles an Bezahlmaterial, was aus Plastik ist: Kreditkarten und auch die gute deutsche EC-Karte. Für Motorradfahrer nicht unwichtig: Ihr könnt an jeder Zapfsäule anhalten, die nach Spritversorgung aussieht. Sogar die unbemannten Säulen, von denen es auf den langen einsamen Strecken immer wieder welche gibt, lassen sich mit deutschen Karten füttern und am Display in der Regel sogar auf deutsch dirigieren!
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Kötbullar kennt jeder, IKEA sei Dank. Aber was essen die Schweden sonst noch? Kaffee trinken ist hier verbreiteter als Bier trinken, - es mag an den Preisen liegen. So findet man im ganzen Land verteilt gemütliche Gartencafes, - auch mal ganz privat, inklusive der zusammengesammelten Gartengarnitur, in der eben noch Vater und Mutter gesessen haben. Und sogar ein besonderes Wort haben die Schweden kreiert, für das Nachholen von Filterkaffee: påtår ingår (deutsch: nachholen inklusive) ist ganz verbreitet unter schwedischen Kaffeetrinkern. Meinem Sohn leuchtet das sofort ein: „coffee flat“ müsste das Modell wohl bei der Generation Z heißen und eine Smartphone-App gibt es dann bestimmt auch bald dazu.
Gegessen werden „bullar“ (deutsch: Kaffee-Gebäck) in diversen Variationen, häufig auch hausgebacken. Wenn es etwas besonders Leckeres sein soll, sind ein Stück Prinsesstårta (deutsch: Prinzessinnentorte) eine gute Wahl. Klassiker auf schwedischen Kaffeetafeln sind Chokladbollar mit Kokos bestreut oder die ebenso giftgrünen Dammsugare (deutsch: Staubsauger) – die ihren Namen den torpedoförmigen Haushaltsgeräten der 50er Jahre verdanken.
Und die kleine Mahlzeit zwischendurch, für den Büro-Angestellten ebenso wie für den Bauarbeiter? Für den mittäglichen Hamburger entscheiden sich die Schweden gerne. Aber der Klassiker bleibt die Korv med Bröd (deutsch: Hotdog mit Brot), die im Alltag ohne Gurken oder Röstzwiebeln verspeist wird, - dafür aber an jeder Ecke, in jedem größeren Supermarkt oder an Straßenständen vor dem kleinen Hunger bewahrt.
Wenn Ihr es doch etwas herzhafter mögt und zum Grillen etwas trinken wollt: die Systembolaget Shops sind tatsächlich die einzigen, in denen alkoholische Getränke verkauft werden. Es gibt nur eine Ausnahme: wenn Ihr in Supermärkten oder Tankstellen Bierdosen entdeckt, ist da zwar auch Alkohol drin, aber maximal 3,5%. Die Schweden sprechen von „Lättöl“ (deutsch: Leichtbier). Das hört sich nicht nur so ähnlich an wie „Leichtöl“, mit dem Treibstoff gemeint ist, sondern schmeckt auch so: geht in Bier-Notsituationen, aber ist geschmacklich weder Fisch noch Fleisch.
In Kalmar liegt ganz in der Nähe des Yacht-Hafens majestätisch das Schloss. Und da ist er wieder, der allgegenwärtige König Vasa, der erste König des geeinten Schwedens, dessen Bedeutung für das Land auch heute noch bei vielen Gelegenheiten spürbar ist. Das Schloss gilt als das am besten erhaltene Renaissanceschloss Nord-Europas. Und nebenbei ist sein Bauherr der Namenspate des so beliebten Wasa-Knäckebrots, das die Deutschen etwa seit den 60er Jahren für sich entdeckt haben.
In Schweden gibt es diverse Geschmacksrichtungen. Und es gibt sie in allen Formen: groß, rund und mit Loch in der Mitte – so wie in alten Zeiten gebacken und auf Stäben zum Trocknen aufgefädelt. Oder rechteckig, wie wir es in Deutschland überwiegend kennen. Auch als Tortenstücke geformtes Knäcke gibt es. Die Schweden lieben es, traditionell gebacken aus Roggen-, Weizen- oder Gerstenmehl oder auch ganz hip und etwas exotischer aus Hafer-, Hirse-, Kastanien- oder Kichererbsenmehl.
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Am Ende unserer drei Wochen Familienfreizeit zurren wir die beiden motorisierten Fliegenfänger für die Rückreise auf dem Anhänger fest. Der Zwei-Mann Vater & Sohn Boarding-Crew geht das inzwischen ziemlich routiniert von der Hand. Nach der Einfahrt in den Schlund der Fähre in Trelleborg Spanngurte suchen, Moped hektisch festzurren für die schaukelnde Ostsee-Überfahrt, komplettes Gepäck abladen und samt Helm umständlich irgendwie unter die Arme klemmen – alles dieses Mal nicht nötig. Beide Maschinen stehen ja gut gesichert auf dem Trailer. Alles in Ruhe vor der Abfahrt am Ferienhaus erledigt. Gurte am Hänger kurz kontrollieren und ab in die Familien-4-Bett-Kabine mit Meerblick. Die Kinder sind alt genug für einen alkoholfreien Cocktail an der Bar. Wir lassen uns die Eltern-Variante schmecken, genießen alle zusammen das Mini-Kreuzfahrtflair, die warme Seeluft auf dem Sonnendeck und verschwinden im schwimmenden Hotelzimmer.
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Auf der Rückreise treffen wir auf Peter Pan – „den Jungen aus London, der nicht erwachsen und vernünftig werden will. Stattdessen fliegt er eines Nachts gemeinsam mit seinen Freunden nach Nimmerland. Dort ist das Leben ein reines Abenteuer, und man muss eben nicht erwachsen werden“, so beschreibt die Fährgesellschaft TT-Line eines Ihrer Top-Schiffe.
Bestimmt kennt Ihr die Cartoons von „Vater und Sohn“? Laut wiki (https://de.wikipedia.org/wiki/Vater_und_Sohn) „Geschichten ... von den Erlebnissen eines rundlichen, extra-kahlköpfigen Vaters und seines kleinen Sohnes, die häufig für diverse Alltagsprobleme ungewöhnliche Lösungen finden.“ Irgendwie erinnert mich das sehr an unseren gerade absolvierten Familien-Selbstversuch auf 10 Rädern. Zeichnen kann ich zwar nicht, aber Bilder bleiben trotzdem reichlich im Kopf.
Die letzten Wochen waren auch für uns ein kleines Abenteuer, ein echter Familien Road-Trip. Unser eigenes, ganz persönliches Nordkap haben wir erfahren. Nicht ganz so weit im Norden wie das richtige. Dafür aber mit der ganzen Familie. Mein Sohn hat die ersten 1.000 Auslandskilometer seines Motorradlebens absolviert und ich fahre mit einem zufriedenen Gefühl nach Hause: drei Wochen Familienurlaub, die sich anfühlen wie ein selbst genehmigtes Sabbatical, das sich jederzeit wiederholen lässt.
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